Die Frostmann-Saga Teil 6.1: Wenn das Glück zerbricht

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ID: 314Die Kälte hielt sich hartnäckig, als die beiden Gestalten nähertraten, den Schnee von Mänteln und Stiefeln schlugen und den warmen Schein des Feuers suchten. Rotang und Grimbald kehrten zurück, früher als erwartet.
Rotang strich sich durch den dichten Bart, und das Knacken des gefrorenen Haares war kaum mehr als ein flüchtiges Geräusch im dämmrigen Licht der Taverne. Grimbald ließ seine Axt mit einem dumpfen Laut auf das Holz des Bodens sinken, schüttelte den letzten Frost aus seinem Bart und nahm auf der leeren Bank am Tisch der Gruppe Platz.
Der Achaz erhob sich rasch, um den ihm stets wohlgesonnenen Holzfäller zu begrüßen. Draußen im Wald war das Werk vollbracht – die Wölfe waren fort, das Dorf sicher. Der Auftrag war erfüllt, ohne Komplikationen, ohne Verluste, schneller als man es je hätte hoffen dürfen. Eine Seltenheit, die sich in Rotangs kurzem, fast belustigten Schnauben spiegelte, als er seinen feuchten Mantel über eine Stuhllehne warf.
Die Stimmung lockerte sich, als Rotang mit einer auffordernden Geste den Wirt der Taverne herbeiwinkte, auf dass eine neue Runde Bier die Gemeinschaft stärke.
Während die Gespräche am Tisch lebhaft wurden, erzählte Gwynwen den Neuankömmlingen von Wegelagerern und von dem Plan, am nächsten Morgen in die Berge aufzubrechen. Doch nicht jeder beteiligte sich an den hitzigen Unterhaltungen – am Rand des Tisches stand Quaz’Ra, die Müdigkeit des langen Tages in seinen Bewegungen spürbar. Er wollte sich zur Ruhe begeben, doch ein Blick über den Tisch verriet ihm, dass nur ein einziger freier Platz blieb – ausgerechnet bei den Thorwalern, direkt gegenüber von Eirik.
Ohne eine Miene zu verziehen, nahm der Achaz den Platz ein, als sei es nichts weiter als eine beiläufige Entscheidung. Doch es lag eine Spannung in der Luft, fein wie eine gestraffte Bogensehne.
Eirik saß in Gedanken versunken, bis ihn eine leise Unterhaltung am Nachbartisch aufhorchen ließ. Man sprach mit Gwynwen, die keine Nahkampfwaffe besaß – ein Umstand, der vor der Abreise noch geändert werden musste. Vielleicht bot der Markt einer der gestrandeten Händler die passende Ausrüstung an.
Ludwig erhob sich und verschwand in Richtung der Händler. In diesem Moment fiel Rotangs Blick auf eine Dame am Nachbartisch, die gerade einen Humpen an die Lippen setzte. Mit selbstbewusster Miene erhob er sich und trat an ihre Seite.
War das eine Gelegenheit, sich für die Auseinandersetzung zu entschuldigen? Ein Funken zögerlicher Entschlossenheit regte sich in Eirik, und so stand er auf und gesellte sich zu Gwynwen.
Die Worte kamen ihm nur stockend über die Lippen, doch schließlich fand er die richtigen: Er bat um Vergebung und zog das Messer von seinem Gürtel – jenes Messer, das ihm so oft aus brenzligen Situationen geholfen hatte. Es war eine große Geste, ein Zeichen, dass er seine Schuld anerkannte. Solange die Thorwaler Teil der Gruppe waren, stand er bei Gwynwen in der Schuld.
Die Elfe nahm das Messer mit einer zurückhaltenden Bewegung entgegen, steckte es ein, ohne groß Wort zu verlieren. Vielleicht erkannte sie die Bedeutung dahinter nicht vollständig, vielleicht wollte sie es nicht zeigen.
Eirik nickte ihr zu und kehrte zu den Nordmännern zurück. Die Spannung blieb spürbar, nur die Neuankömmlinge genossen die ungetrübte Freude eines wohlverdienten Feierabends.
Als die Humpen an den Tisch gebracht wurden, hob Eirik seinen Krug und stieß gegen den noch unberührten Becher des Achaz. Doch dieser zeigte keine Reaktion, als wäre ihm die Geste fremd.


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ID: 315Rotang ließ seinen Blick durch die Runde schweifen, musterte schließlich Quaz’Ra und ließ ein raues Schmunzeln vernehmen. Ein scherzhafter Kommentar fiel über verschobene Schuppen, doch es war nicht nur Spott in seinen Worten. Der Holzfäller spürte die unterschwellige Spannung, erkannte die versteckten Blicke und die unausgesprochenen Gedanken, die den Tisch belasteten.
Er stellte die Frage offen in den Raum – und erhielt eine knappe Antwort von Gwynwen. Die Auseinandersetzung zwischen Eirik und Quaz’Ra, ihre leichte Verletzung, doch es sei erledigt.
Eirik spürte, wie sich ein eisiger Knoten in seiner Brust zusammenzog. Die Blicke brannten auf seiner Haut, urteilend, kalt. Auch der Achaz blieb regungslos, doch Eirik wusste, dass auch er an jene Momente zurückdachte – an den Ausbruch der Wut, an den Sturz der Elfe.
Rotang, der sonst so friedfertige Holzfäller, erhob sich abrupt. Mit schnellen, festen Schritten ging er auf die Thorwaler zu, und stellte die Gemeinschaft zur Rede.
Doch bevor er seine Ansprache beenden konnte, war es Thronde, der ihm Einhalt gebot. Ruhig, aber bestimmt, mahnte er Rotang, sich erst beide Seiten der Geschichte anzuhören, bevor er ein Urteil fällte.

Etwas später zog die Gruppe auf den Markt, um sich mit allem Nötigen einzudecken. Während die anderen zwischen den Händlern wandelten, hielt Eirik sich an einer der Feuertonnen auf, die Hände wärmend, den Blick in die Ferne gerichtet.
Die gewaltige Felswand des Finsterkamms ragte vor ihm auf, schroff und unergründlich. Doch ein plötzlicher Schrei riss ihn aus den Gedanken.
Ein dunkler Schatten strich durch die Luft, ein großer, schwarzer Vogel landete auf einer nahen Holzkiste. Die pechschwarzen Augen des Wesens ruhten auf ihm, bohrten sich in seine Seele, als könnten sie seine Gedanken lesen.
Sein Herz schlug schneller, ein unbehagliches Gefühl breitete sich in ihm aus. Dann, mit einer einzigen, rauschenden Bewegung, breitete der Vogel die Flügel aus und verschwand im Dämmerlicht des Abends, fort in Richtung des Bergpasses.
Was war das für ein Vogel? Warum schien sein Blick so durchdringend? Ein ungutes Gefühl regte sich in Eirik, eine Ahnung, die er nicht fassen konnte.
Was er nicht wusste – es war ein Nachtrabe. Ein schlechtes Omen oder doch bloß ein Zufall?
Nach den Besorgungen kehrte die Gruppe in die Taverne zurück. Mehrere Runden Bier ließen die Anspannung sinken und schließlich zog sich die Gemeinschaft zur Ruhe zurück.
Eirik bezahlte für das Zimmer der Brüder, legte sich ins warme Bett und lauschte den Geräuschen der Nacht.
Der Mond warf sein fahles Licht durch die beschlagenen Fensterscheiben, während der Wind mit unbändiger Kraft durch die Ritzen der Taverne pfiff.
Doch an einem Ort in dieser schlafenden Stadt herrschte noch Unruhe – in Eiriks Gedanken.
Würde sein Bruder ihm die jüngsten Geschehnisse verzeihen? War es wirklich die Thorwaler-Ehre, die er verteidigt hatte, oder doch nur sein eigenes Ego?
Und dieser Nachtrabe – warum fühlte er sich in seinem Blick so unwohl?
Fragen, auf die er keine Antworten fand, ehe die Dunkelheit der Nacht ihn umfing.

Am nächsten Morgen erwachten die Brüder, doch Asgrim sprach kein Wort. War er noch immer zornig? Oder war es doch nur eine Erkältung, die ihn nun plagte? Nach einigem Husten und Räuspern des älteren Bruders schien es für Eirik klar.
Doch machte dies so einen großen Unterschied? Der Hüne war schließlich von Natur aus eher wortkarg. Ein paar Brummer und die leichten Bewegungen in der eisernen Mine seines Bruders reichten ihm aus, um die Absichten Asgrims verstehen zu können.
Nach einem raschen Frühstück versammelte sich die Gemeinschaft, bereit für den Aufbruch.
Die Zugtiere scharrten ungeduldig, während Jorre und seine Leute auf ihre Beschützer warteten.
Es war keine Zeit zu verlieren, der Norrn-Steig lag vor ihnen.
Stunden verstrichen, während die Karawane ihren Weg durch die raue, unwirtliche Landschaft fortsetzte. Der Tag schritt voran, doch die Sonne vermochte es kaum die klammen Schatten aus den Tälern zu vertreiben.
Dann erreichten sie den Gebirgspass.
Zunächst erschien der Weg breit genug für die Karren, doch je weiter sie vordrangen, desto mehr rückten die Felswände zusammen, als wollten sie die Reisenden verschlingen. Die Luft wurde kühler, das Licht gedämpft, und mit jeder verstreichenden Minute wirkte der Pfad beengender, bedrückender.
Eirik, der mit seinem Bruder auf dem hintersten Wagen saß, spürte ein ungutes Ziehen in der Magengrube. Ein Gedanke durchzuckte ihn – wenn irgendwo ein Hinterhalt lauerte, dann hier.
Die perfekte Falle.
Er ließ seinen Blick über die zerklüfteten Felswände schweifen, über die düsteren Spalten, die sich wie gähnende Schlünde in die Steinflanken fraßen. Seine Finger lösten die Schnallen seiner Ausrüstung, er wollte bereit sein, falls der Feind aus dem Schatten sprang. Neben ihm tat Asgrim es ihm gleich, seine Bewegungen ruhig, aber entschlossen. Ein stummes Nicken genügte, sie verstanden einander ohne Worte.
Dann passierten sie die engste Stelle.
Plötzlich – ein gewaltiger Schlag.
Der Boden erzitterte unter ihnen, Steine lösten sich aus der Höhe, polterten in die Tiefe. Die Pferde wieherten panisch, rissen an den Zügeln, während die Wagen mit einem Ruck zum Stillstand kamen.
Etwas war geschehen.
Eirik spannte sich an. Seine Hände glitten zu seinen Waffen.


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ID: 316Sie waren nicht allein, das mussten die Wegelagerer sein!
Eirik und Asgrim zögerten keinen Augenblick. Ihre Stiefel schlugen dumpf auf den gefrorenen Boden, als sie vom Wagen sprangen, die Waffen bereits in den Händen. Der Stahl funkelte im matten Licht, ein drohendes Versprechen an jeden, der es wagen mochte, ihnen entgegenzutreten.
Vor ihnen, inmitten der Passstraße, lag ein gewaltiger Felsbrocken, der den Weg versperrte, rau und kantig, als wäre er eben erst aus dem Berg gerissen worden. Von einer Anhöhe hallte eine Stimme herab, tief und fremdartig, rau wie das Gebirge selbst. Sie verlangte Zoll, gebrüllt in einer wirren Sprache, die nichts Gutes verhieß. Eine Warnung lag in ihren Worten – oder vielmehr eine Drohung: Wer nicht zahlte, wurde zerschmettert.
Dann zeigte er sich.
Ein Oger, von wahnwitziger Gestalt, seine massigen Glieder von Muskelsträngen durchzogen, die selbst einen Bären vor Neid hätten erblassen lassen. Auf seinem grobschlächtigen Schädel thronte eine seltsame Lederkappe, seine plumpen Finger spannten sich um eine Keule, so groß wie ein ausgewachsener Mann. An seiner Seite standen zwei Orks, einer von ihnen mit demselben sonderbaren Kopfschutz, vielleicht eine Trophäe, vielleicht ein Zeichen ihres Bündnisses?
Doch nicht nur sie lauerten in den Schatten.
Rings um die Karawane regte sich etwas. Kleine, düstere Gestalten krochen aus Spalten im Fels, kletterten über zerklüftete Steinrücken oder spähten mit glühenden Augen aus ihren Verstecken. Goblins. Ihr Gejohle hallte gespenstisch zwischen den Wänden wider, während ihre krummen Klingen das fahle Licht einfingen. Die Falle war zugeschnappt.

Der Angriff begann.
Die Händler wichen zurück, drängten sich ängstlich aneinander, doch die Gruppe warf sich in den Kampf. Mit einem Knirschen sprangen sie von den Wagen, zogen ihre Waffen und formierten eine Verteidigungslinie.
Der Oger lachte, ein kehliges, markerschütterndes Grollen, das die Luft erzittern ließ. Die Vorstellung, dass sterbliche Hände ihn aufhalten könnten, schien ihn zu belustigen. Und doch... der Kampf entbrannte.
Eirik spürte, wie sein Herz schneller schlug. Gemeinsam mit Asgrim hielt er sich am hinteren Ende der Karawane, bereit, jeden Feind niederzustrecken, der sich an die Schwächeren wagte. Doch inmitten des Tumults vernahm er ein Laut, der alles veränderte.


Ein scharfes Zischen durchschnitt die Luft, ein dumpfer Schlag, Eirik erstarrte.
Etwas hatte ihn getroffen. Doch der Schmerz kam nicht sofort. Stattdessen nur eine unnatürliche Wärme, die sich langsam über seinen Schwertarm ausbreitete.
Sein Blick wanderte hinab, suchte den Ursprung dieses brennenden, kribbelnden Gefühls. Dann sah er es – dunkles Rot, das aus einer klaffenden Wunde quoll, sich in dünnen Bahnen über seinen Unterarm schlängelte und als schwere Tropfen auf den makellosen Schnee fiel.
Ein Goblin-Pfeil.
Aus den Schatten abgefeuert, hatte er seine Rüstung durchschlagen, war tief in seine Schulter eingedrungen, als hätte sie nur aus Pergament bestanden.
Ein zweites Zischen, ein zweiter Schlag.
Der Schmerz traf ihn nun mit voller Wucht. Ein brennender, unerträglicher Stachel bohrte sich tief in seine Brust, raubte ihm den Atem, als hätte ihm eine unsichtbare Faust das Leben aus den Lungen geprügelt.
Seine Knie gaben nach. Die Welt um ihn verlor ihr Gleichgewicht. Er fiel.
Schwere Stiefel neben ihm. Eine Stimme – dumpf, verzerrt durch das pochende Rauschen in seinen Ohren. Asgrim.
Eirik hörte, wie sein Bruder den Streithammer erhob, spürte das Beben des Bodens, als das schwere Eisen auf die Angreifer niederfuhr. Doch der Kampf entfernte sich, wurde zu einem wirren Traum aus Lärm und Chaos.
Die Goblins kamen näher, ihre kleinen, dunklen Gestalten huschten auf die Wägen zu. Asgrim kämpfte, doch Eirik konnte ihn nicht mehr unterstützen. Seine Muskeln gehorchten ihm nicht mehr. Sein Körper fühlte sich an wie Stein – schwer, leblos.
Dann – eine Bewegung über ihm.
Ein Schatten, schneller als die Goblins.
Er blinzelte. Sein Geist spielte ihm Streiche. Oder doch nicht?
Quaz’Ra.
Der Achaz, den er noch am Vortag als hinterlistig bezeichnet hatte, stand plötzlich über ihm. Seine schlanken, schuppigen Gliedmaßen zuckten durch die Luft und standen Asgrim im Kampf zur Seite.
Eirik versuchte sich aufzurichten, doch die Kälte kam.
Wie ein langsam über ihn rollender Nebel kroch sie in seine Glieder, wickelte sich um seine Brust.
Er spürte den Schnee unter sich, kalt und feucht. Seine Finger griffen nach seinen Wurfmessern. Wenn dies das Ende war, dann wollte er wenigstens nicht tatenlos sterben.
Mit letzter Kraft schleuderte er die Messer.
Sie verfehlten ihr Ziel. Nutzlos versanken sie im blutgetränkten Schnee vor ihm.
Seine Augenlider wurden schwer. Die Welt verschwamm.
Und dann – der Himmel.
Grau. Unendlich. Kalt.
Etwas kreiste dort oben. Ein dunkler Schatten mit ausgebreiteten Flügeln, es war der Nachtrabe!
Er landete auf dem Wagen gegenüber. Ihre Blicke trafen sich, wie es bereits am Vorabend der Schlacht der Fall gewesen war.
Keine Zufallsbegegnung.
Eirik verstand nun, was für ein Rabe das war.
War dies das Ende seines unsäglichen Glücks? War dies das Ende des jungen Thorwalers?
Ein letztes Bild flammte in seinem Geist auf – sein Bruder, Asgrim.
Ob er ihm verzeihen würde, wenn er ihn nun alleine ließe?
Eirik wollte es nicht wissen.
Die Dunkelheit kam und mit ihr – die Stille.

Bevor alles schwarz wurde, sah er eine Silhouette, ganz nah.
Jemand kam, um ihn in den Schlaf zu verabschieden, den ewigen Schlaf?