Die Luft roch nach feuchtem Moos, nach Nadelholz und dem schweren Duft der Erde, überzogen von einem feinen Schleier aus Blättern, die der Wind langsam in die Lüfte hob, nur um sie wenige Augenblicke später wieder zur Ruhe zu betten. Bäche und Quellen sprudelten zwischen den Steinen hervor, schlangen sich durch das Dickicht wie silberne Fäden und mündeten schließlich in dunkle Tümpel oder reißende Flüsse, deren Gurgeln das Lied des Waldes begleitete.
Die Reise auf dem Karren, der ächzend über die holprigen Wege rumpelte, forderte ihren Tribut. Nach tagelangem Ruckeln und Schaukeln fühlten sich die Glieder der Frostmann-Brüder steif an, und der Wunsch nach einem warmen Feuer und einem ordentlichen Humpen Bier wurde mit jeder zurückgelegten Meile drängender. Auch Thronde, ihr Mitstreiter, schien sich danach zu sehnen, die unbequemen Wagenbänke gegen einen Platz in einer Taverne einzutauschen.
Eirik, dem nicht nach Wachen zumute war, lag auf der Ladefläche und ließ seinen Blick über die vorbeiziehende Welt schweifen. Die Sonne, ein strahlendes Rad aus Gold, stand hoch am Himmel, ihre Wärme drang sanft durch den leichten Nebel, der über den Wiesen hing. In der Ferne schwebten Vögel in scheinbar schwerelosen Bahnen, spielten mit den Aufwinden, ihre weißen und grauen Silhouetten zeichneten sich gegen das makellose Blau ab. Hier und da huschte ein Reh durch das Unterholz, kurz sichtbar, dann wieder verschluckt von den Schatten der Bäume.
Alles wirkte so friedlich, so unberührt, dass Eirik sich fragte, warum der Händler sie überhaupt angeheuert hatte. Doch dieser Gedanke verwehte rasch wie Blätter im Wind, als ein plötzlicher Lärm durch den Wald schnitt.
Ein markerschütterndes Heulen, gefolgt von aufgebrachten Stimmen und dem dumpfen Klang eines Kampfes, hallte von den Bäumen wider. Eirik fuhr hoch, während auch Asgrim und Thronde aufmerksam wurden und instinktiv zu ihren Waffen griffen.
Die Geräusche kamen vom anderen Ende eines kleinen Hügels, der sich unweit des Weges erhob. Ohne zu zögern schnallten sich die Thorwaler ihre Waffen um, sprangen von den Wagen und rannten mit weiten Schritten die Anhöhe hinauf. Der Händler, dessen Hände nervös die Zügel seines Pferdes umklammerten, trieb die Karren weiter, um seine Familie in Sicherheit zu wissen.
Oben angekommen, bot sich den Nordmännern ein Anblick des Grauens.
Doch Zeit zum Staunen blieb ihnen nicht, denn Thronde, immer der Erste im Kampf, stürzte mit einem donnernden Schlachtruf den Hang hinab. Der Boden bebte unter seinen schweren Schritten, Steine rollten mit ihm ins Tal, während seine Orknase im Sonnenlicht aufblitzte.
Ein lautes Knurren durchbrach den Moment der Erstarrung- Wölfe!
Nicht ein oder zwei, sondern ein ganzes Rudel. Schwarze und graue Leiber wirbelten über die Lichtung, ihre gebleckten Zähne weiß wie Elfenbein, ihre Augen glühend wie brennender Bernstein. Sie umkreisten eine Gruppe, die verzweifelt versuchte, sich zu verteidigen.
Eirik und Asgrim zögerten nicht länger. Mit lauten Rufen stürmten sie voran, ihre Waffen erhoben. Der Kampf entbrannte inmitten des Waldes, ein wilder Tanz aus Klingen und Reißzähnen. Pfeile pfeiften durch die Luft, Armbrustbolzen fanden ihre Ziele. Schwerter und Äxte schnitten durch zottiges Fell und Fleisch, während der Boden unter den Tritten der Kämpfenden bebte.
Asgrim, dessen Zweihandhammer die Kraft eines herabstürzenden Felsblocks hatte, zertrümmerte die Angriffslinie der Bestien. Knochen knackten, Schreie hallten über die Lichtung, und schließlich – nach einer letzten Welle wütender Angriffe – wichen die Wölfe zurück. Ihre gelben Augen blitzten noch einmal im Schatten der Bäume auf, dann waren sie verschwunden, zurück in die Tiefen des Waldes.
Keuchend standen die beiden Gruppen nun einander gegenüber. Während die letzten Tropfen Blut von den Klingen rannen, musterten sich die Fremden und die Thorwaler.
Ein großer Mann mit dichtem Bart trat vor. Seine Statur war beeindruckend, seine Gestalt wirkte beinahe wie ein Felsen, der sich aus dem Boden erhob. Mit offenen Armen trat er auf die Nordmänner zu und sprach sie mit einem freundlichen, wenn auch erschöpften Lächeln an.
Eirik beobachtete ihn genau, während sein Blick zu den anderen Fremden wanderte. Neben dem Hünen stand ein gedrungener Mann mit buschigem Bart, seine Miene grimmig – ein Zwerg. Ein junger, spitzohriger Mann mit Armbrust lehnte an einem Baum, seine Augen wachsam. Und dann … ein Rascheln in den Ästen über ihnen.
Plötzlich sprang eine schlanke Gestalt katzenartig aus den sich im Wind wippenden Baumwipfeln. Sie landete leichtfüßig neben den Anderen, ihr Bogen noch in der Hand. Elfenhafte Züge, spitze Ohren, Augen so tief wie ein Waldbach – zweifellos eine Elfe.
Rotang, der große Mann, stellte sich und seine Kameraden vor: der Zwerg Grimbald, die Elfe Gwynwen, der Halbelf Ludwig.
Doch als er zur letzten Gestalt kam, einem vermummten Wesen, das Abseits stand, gefror Eirik das Blut in den Adern.
Erstarrt sah er die Silhouette an. Konnte das wahr sein? Waren die Geschichten, die man ihnen als Kindern erzählte, doch nicht erfunden?
Dann, ein leises Zischen, ein kurzes Blitzen schuppiger Haut.
Ein Achaz!
Eirik spürte, wie sein Herz schneller schlug, während ihm ein Schauer über den Rücken lief. Ein Schwall unterdrückter Kindheitserinnerungen brach aus der Dunkelheit seiner Gedanken hervor – alte Legenden, geflüstert am Feuer, als der Sturm gegen die hölzernen Wände ihrer Hütte peitschte. Geschichten von schuppigen Kreaturen, die aus dichten Sümpfen und dampfenden Dschungeln kamen, lautlos durch den Nebel schlichen und mit ihren runden, kalten Augen in die Seelen der Nordmänner blickten.
Seine Finger schlossen sich wie von selbst um den Griff seines Schwertes. Die Luft zwischen den Gruppen war plötzlich schwer, als hätte sich der Wald um sie herum verdichtet. Die Blätter der alten Buchen und knorrigen Eichen schienen sich nicht mehr im Wind zu wiegen – selbst die Vögel hielten inne, als spürten sie die gespannte Atmosphäre zwischen den beiden Gruppen.
Mit einem rauen, fast animalischen Laut zog Eirik sein Schwert aus der Scheide. Doch in dem Moment, als er vorstürmen wollte, spürte er den eisernen Griff Asgrims um seinen Arm. Fest wie eine Klammer hielt der ältere Bruder ihn zurück.
Er kämpfte gegen den Widerstand, doch Asgrims Griff lockerte sich nicht. Alte Geschichten drängten sich in seine Gedanken – Erzählungen von Verrat, von geborstenen Waffen und blutüberströmten Körpern. Dennoch ließ Asgrim nicht zu, dass sein Bruder in blinder Wut handelte.
Der Achaz verharrte regungslos, beobachtete die Szene mit gelassenem Blick, als hätte er mit dieser Reaktion gerechnet. Seine Augen funkelten im Zwielicht des Waldes.
Eirik spürte, wie die Wut in ihm brodelte, als er schließlich nachgab. Das Schwert glitt zurück in die Scheide, wenn auch nicht ohne knirschendes Metall, das seinen inneren Widerstand widerspiegelte.
Ein tiefer Atemzug ließ die Spannung allmählich weichen, doch der Gedanke an die alten Geschichten würde ihn so schnell nicht loslassen.
Erst als die ersten Worte gewechselt wurden, schwand die angespannte Stille. Die anderen hatten von ihrer Suche nach einem blauen Ork berichtet, eine Kreatur, deren bloße Erwähnung Rotangs Stirn in Sorgenfalten legte.
Die Gruppe entschied sich gemeinsam nach Auffälligkeiten an dem Ort umzusehen.
Eirik lauschte nur mit halbem Ohr, denn etwas an der Szenerie ließ ihn keine Ruhe finden. Der zerstörte Karren, das Blut, das sich langsam in die Erde sog und einen dunklen Fleck auf dem sonst so weichen Waldboden hinterließ, die zerfetzten Tierkadaver – etwas an diesem Gesamtbild wirkte zu geplant.
Gerade als Eirik den blutverschmierten Karren genauer untersuchen wollte, tauchte von der anderen Seite Quaz’Ra, der Achaz, auf. Ein leises Zögern lag in der Luft, ein unausgesprochenes Misstrauen, das zwischen den Beiden spürbar wurde. Doch der Drang nach Erkenntnis war stärker als die Zweifel, und so suchten sie mehr oder minder gemeinsam den Wagen ab.
Was sie fanden, ließ keinen Zweifel mehr zu – blaues Fell!
Die Geschichten über den blauen Ork schienen also doch mehr als bloße Gerüchte zu sein. Aber was hatte er davon, die Wölfe mit einem Wagen voller Schlachtvieh aus den Bergen in diese Gegend zu locken?
Noch bevor sich die Gedanken ganz ordnen konnten, wandte sich der Achaz abrupt ab und stürmte mit schnellen Schritten zu den anderen, um den Fund zu präsentieren.
Gwynwen, die Elfe, richtete ihren Blick in den dunklen Wald. Es lag eine Unruhe in der Luft, eine Ahnung, dass diese Begegnung nur der Auftakt zu etwas Größerem war.
Gerade als die Gruppe aufbrechen wollte, erstarrte sie. Ein Geräusch, kaum mehr als ein leises Rascheln, kam aus den Büschen. Sofort griffen die Krieger instinktiv zu ihren Waffen, bereit, sich einer weiteren Bedrohung zu stellen.
Doch diesmal war es keine blutrünstige Bestie.
Zwischen den dichten Ästen, halb verborgen im Dickicht, kauerten zwei glühend rote Augen. Kleine, schmale Finger krallten sich in die Rinde eines Baumstammes.
Ein Goblin!
Abgemagert, zerzaust, sein Fell fleckig und struppig. Er war so klein, dass er fast in der Schattenwelt des Waldes verschwand. Als er merkte, dass die Gruppe ihn entdeckt hatte, zuckte er panisch zusammen.
Rotang, der sich mit Tieren auskannte und wusste, wie man sich scheuen Wesen nähert, setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Auch Gwynwen und Eirik bewegten sich behutsam in seine Richtung.
Rotang bewegte sich langsam, zog ein Stück Brot aus seiner Tasche und streckte es dem kleinen Wesen entgegen. Zögernd, mit misstrauischem Blick, griff der Goblin danach. Hastig stopfte er das Brot in seinen Mund, als fürchte er, es könne ihm im nächsten Moment wieder entrissen werden.
Die Worte, die der Goblin schließlich in seiner fremden Sprache hervorstieß, waren kaum verständlich. Doch nach einigen Gesten und klugen Schlussfolgerungen wurde die Botschaft klar:
Die Wölfe waren vom blauen Ork gelenkt worden. Sie wurden absichtlich in diese Gegend geführt – und das Schlachtvieh auf dem Karren war der Köder gewesen.
Mit düsteren Gedanken brach die Gruppe schließlich in Richtung Hirschquell auf. Die Schatten des Waldes wurden länger, während die Sonne tief hinter den Bäumen versank.
Beim Erreichen des Dorfes wurden sie von den Ältesten empfangen, doch die Frostmann-Brüder hatten nur noch ein Ziel: die Taverne!
Mit schwerem Körper und leichtem Kopf stießen sie mit Rotang an, das knisternde Feuer des Kamins wärmte ihre Gesichter, während der Schnaps in ihren Kehlen brannte.
Asgrim versuchte, Eirik zu überreden, sich von der Heilerin behandeln zu lassen, doch der junge Thorwaler wehrte sich mit trotzigem Stolz und erwiderte, dass man das auch einfach mit etwas Alkohol übergießen könne. Erst als der Hochprozentige in der Wunde brannte wie das Feuer eines Drachen, ließ er sich schließlich doch überzeugen.
Später, als die Nacht das Land in ihre dunkle Umarmung nahm und der Wind leise durch die Ritzen der Taverne pfiff, lagen die Brüder endlich in ihren Betten.
Doch während Asgrim in den Schlaf glitt, lag Eirik noch lange wach und starrte an die Decke.
Seine Gedanken kreisten um den blauen Ork und um den Achaz, unzählige Fragen schwirrten ihm durch den Kopf.
Was verbirgt sich hinter den Machenschaften des blauen Orks?
Die Geschichten seiner Kindheit – waren sie wirklich die ganze Wahrheit? Oder nur ein Teil davon?
Die Nacht legte sich wie ein dunkler Schleier über seine Sorgen, doch erst der kommende Tag würde Licht in das Dunkel bringen – oder neue Schatten werfen…
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Orknase :D ?